Vor einiger Zeit im Spätdienst: Ich wurde mit meinem Kollegen zu einer älteren Dame geschickt, um die sich eine befreundete Nachbarin ernstlich Sorgen machte. Die Freundin hatte mitbekommen, dass die Frau einen Anruf erhalten hatte, nach dem sie vollkommen verändert erschien. Die Nachbarin wurde abgewimmelt und schon fast aus dem Haus komplimentiert und zum Anrufer wollte die Frau keine Informationen herausrücken. Dieses Verhalten erschien der Nachbarin nicht nur ungewöhnlich, sondern geradezu verdächtig. Immerhin hatte man ja in letzter Zeit so viel von Betrügern gehört, die es auf Senioren abgesehen haben. Da die Frau durchaus im Seniorenalter und darüber hinaus auch noch einigermaßen wohlhabend und alleinstehend war, rief die Nachbarin kurzerhand bei der Polizei an.Nachdem wir kurz mit der Nachbarin gesprochen hatten, begaben wir uns über die beiden Einfahrten zum Haus der alten Dame. Die hatte unser Eintreffen und das Gespräch an der Haustür der Nachbarin bereits bemerkt und öffnete die Tür, bevor wir diese erreicht hatten. Die Frau war Ende siebzig, schlank und machte einen sehr gepflegten Eindruck. Allerdings zeigte sie sich unwillig, uns hereinzubitten, blieb dabei aber ständig höflich. Eigentlich hatte sich die Nachbarin gewünscht, der Frau gegenüber unerwähnt zu bleiben. Das hatte sich aber mit dem von dieser beobachteten Gespräch wohl erledigt. Wir teilten der alten Dame also mit, dass man um sie besorgt sei und fragten sie, ob denn irgendetwas vorgefallen sei, das diese Sorge begründe. Das verneinte sie ganz vehement. Es sei alles in bester Ordnung und unser Erscheinen sei für sie genauso überraschend wie überflüssig. Man merkte dieser Frau an, dass sie ein bildungsnahes Leben geführt hatte und wohl sonst durchaus in der Lage war, dieses eigenständig zu bewältigen.Noch während wir versuchten, die Hintergründe für unser Hiersein zu ergründen, klingelte das Mobilteil ihres Telefons, das sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. Sie entschuldigte sich, ließ uns an der geöffneten Tür zurück und verschwand über die Treppe in den ersten Stock des Hauses und damit außer Hörweite. Der Kollege und ich schauten uns vielsagend an, denn die paar Wortfetzen, die wir beim Rückzug der Dame mithören konnten, klangen nicht nach einem freudigen Gespräch. Kurz darauf erschien sie wieder auf der Treppe und bat uns, doch jetzt zu gehen, da sie mit ihrem Sohn in Ruhe telefonieren wolle. Ich erwiderte: „Das trifft sich ja sehr gut. Könnte ich wohl einen Moment mit Ihrem Sohn sprechen?“, während ich ihr meine Hand erwartungsvoll entgegenstreckte. Das brachte sie sichtlich aus dem Konzept: „Wieso wollen sie mit meinem Sohn sprechen? Das kommt ja gar nicht in Frage!“. Ihr Blick war sowohl erschrocken, als auch überrascht.„Ich habe ehrlich gesagt den leisen Verdacht, dass da gar nicht ihr Sohn am Telefon ist und würde den gerne ausräumen.“, antwortete ich so freundlich, wie man jemandem eine Lüge nur vorwerfen kann.Leicht entrüstet, aber auch in einem ertappten Tonfall, erwiderte sie: „Das geht jetzt nicht.“, hielt sich das Mobilteil ans Ohr und sagte: „Wir sprechen später.“ hinein. Dann drückte sie die Trenntaste am Gerät und schaute uns etwas verschämt an: „Dann kommen Sie mal herein, meine Herren!“, forderte sie uns auf und führte uns in ein geräumiges Wohnzimmer, wo wir um einen Esstisch herum Platz nahmen. Um das betretene Schweigen zu brechen, begann ich das Gespräch:„Ich weiß, dass Sie sich in einer für Sie total ungewohnten und unangenehmen Situation befinden. Vielleicht darf ich ja damit beginnen, Ihnen zu schildern, was wir denken, was vorgefallen ist?“. Die Dame schaute mich nur an und nickte wortlos.„Ich denke, Sie haben vorhin im Beisein Ihrer Nachbarin einen Anruf erhalten. Auf dem Display wurde vielleicht sogar die Nummer 110 angezeigt. Die unbekannte Person am anderen Ende gab vor, bei der Polizei zu arbeiten und für Sie sehr wichtige Informationen zu haben. Dafür sei es aber sehr wichtig, dass sie alleine seien. Wenn sie das nicht seien, sollten sie das Gespräch jetzt beenden und die anwesende Person so schnell und unauffällig wie möglich loswerden. Man werde Sie dann in wenigen Minuten erneut anrufen. Es sei aber unbedingt erforderlich, dass Sie absolutes Stillschweigen über dieses und noch kommende Gespräche bewahren! Ist das bisher so in etwa richtig?“. Die alte Dame schaute mich mit großen Augen verwundert an und nickte wieder nur stumm. „Wenig später, als sie Ihre Nachbarin gerade hinausbefördert hatten, rief dieselbe Person erneut an und erzählte Ihnen, dass man Ihre Daten in der Tasche eines Täters gefunden habe, der wegen Straftaten wie Einbruch und oder Betrug festgenommen worden sei. Dieser Täter sei Mitglied einer Verbrecherbande, die genau in Ihrer Nachbarschaft schon seit einiger Zeit ihr Unwesen treibe. Nun wolle man sich vergewissern, dass die vorhandenen Daten richtig seien und Sie darum bitten, mit der Polizei zusammen zu arbeiten. Ist auch das korrekt?“. Inzwischen war Ihr Mund aufgeklappt und bildetet den Punkt unter dem Fragezeichen, welches in ihrem Gesicht leuchtete: „Das stimmt fast wörtlich!“, stieß sie leise hervor. Ich fuhr mit meinem Vortrag fort: „Dann nannte man Ihnen vermutlich einige Daten, wie Name, Geburtsdatum, vielleicht sogar eine Kontonummer, die man bei dem Täter gefunden haben wollte. Diese Daten stimmten sogar und sie waren erschrocken, wie diese denn in die Hände von Verbrechern geraten waren. Um diese Daten abzugleichen, sollten sie diese noch ergänzen und vervollständigen. Also gaben sie bereitwillig alle Ihre Kontonummern, Versicherungsnummern von vermögensbildenden Lebensversicherungen und alle dazugehörigen Bankleitzahlen an. Auch die Frage nach Bankschließfächern beantworteten Sie wahrheitsgetreu, genauso wie die Frage nach Bargeld und Wertgegenständen im Haus. Schließlich bläute die Person Ihnen noch ein, selbst anderen Polizeibeamten gegenüber, die sich Ihnen nicht mit einem Kennwort oder ähnlichen als eingeweiht zeigen, unbedingt Ihren Kontakt zur Polizei zu verschweigen und gar zu leugnen. Man werde sich wieder mit Ihnen in Verbindung setzen und den Plan für eine Falle für die Verbrecher besprechen. Dafür sollten Sie doch bitte schon einmal Ihr Bargeld und die mobilen Wertsachen zusammensuchen, denn diese würden natürlich von einem Kollegen abgeholt, damit bei der Falle nichts schief gehen könne!“. Das Erstaunen im Blick der alten Dame, war inzwischen dem blanken Entsetzen gewichen: „Das ist wirklich sehr gruselig! Sie erzählen das tatsächlich so, als seien Sie dabei gewesen.“. Inzwischen war sie den Tränen nahe: „Woher wissen Sie das alles so genau?“, fragte sie. Ich ließ sie nicht lange auf die Antwort warten: „Ich weiß das, weil Sie leider nicht die erste sind, die man so auf’s Glatteis geführt hat. In letzter Zeit häufen sich die Fälle, die sich auch frappierend ähneln. Diese Täter sind gut geschulte Spezialisten, die ganz genau wissen, wie sie mit ihren Opfern reden müssen. Es gibt ganze Call Center, die meist im Ausland sitzen, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als alte Menschen anzurufen und auf irgendeine Weise um ihr Hab und Gut zu bringen. Es ist auch in keiner Weise peinlich und zeugt auch nicht von Dummheit, wenn man darauf hereingefallen ist. Dumm ist es nur, das nicht zuzugeben, bevor alles zu spät ist!“. Die Frau fasste sich nun ein Herz und begann zu erzählen: „Meine Herren, Sie haben vollkommen recht! Mich hat ein mir unbekannter Mann angerufen, der behauptete ,er sei Polizeibeamter. Er nannte sich Kommissar Gärtner und sprach ein ausgezeichnetes Deutsch, ganz ohne Akzent oder so. Er erzählte mir genau die Geschichte, die Sie mir gerade unterbreitet haben, nämlich, dass man einen Mann festgenommen habe, der einen Zettel mit meinen persönlichen Daten in seiner Tasche gehabt habe. Er sprach sehr überzeugend und kompetent mit mir. Auch das mit dem Abgleich meiner Daten stimmt so. Ich habe ihm alle meine Bankverbindungen und Kontonummern gegeben und auch noch einige Versicherungsnummern. Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, liegen die Unterlagen dazu noch hier vor uns auf dem Tisch. Ich musste sie heraussuchen, weil ich das alles nicht im Kopf habe. Auch das mit der Falle ist richtig. Ich sollte alles Bargeld und meine Wertgegenstände wie Schmuck und dergleichen zusammensuchen und dann würde mich erneut jemand anrufen und einen Abholtermin ausmachen. Dazu kam es aber dann nicht mehr, weil Sie vorher eintrafen und ich Sie , Gott sei Dank, nicht losgeworden bin.“. Sie lächelte verlegen: „Ich habe sogar kurz mit meinem Sohn, der bei Frankfurt wohnt, telefoniert, weil der sich um solche Sachen wie Versicherungen kümmert und ich nicht wusste, wo die Unterlagen waren. Das war auch ganz schön knifflig, denn er war misstrauisch, weil ich mich sonst für so etwas nicht interessiere. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich einen Brief von einer Versicherung bekommen hätte, für den ich etwas nachschauen und den ich dann entsprechend abheften wolle. Dann gab ich vor, jetzt zu meinem Kartenspielnachmittag zu müssen und das wir heute Abend reden könnten. Ich glaube aber nicht, dass ich ihn vollkommen überzeugt habe.“, diesmal schaute sie verschämt auf die gefalteten Hände in ihrem Schoß.„Na dann wollen wir doch mal sehen, was wir jetzt noch tun können!“, sagte der Kollege, während ich mich entschuldigte, um mit der Leitstelle zu telefonieren. Erstens waren wir schon eine geraume Zeit hier und zweitens war man dort sicher auch schon gespannt, wie diese Geschichte ausgehen würde. Schon bei der Einsatzvergabe hatte man uns gesagt, dass es nicht ganz einfach werden könnte, die alte Dame zu überzeugen. Deshalb war man dann da auch sehr erleichtert, als ich die Entwicklung mitteilte und unseren weiteren Verbleib vor Ort ankündigte, um Schadensbegrenzung zu betreiben.Die nächste Stunde verbrachten wir nun damit, die alte Dame dabei zu unterstützen, vieles wieder rückgängig zu machen, was sie unter der Anleitung des Anrufers vorbereitet hatte. Wir telefonierten also mit Banken und Versicherungen, ließen uns beraten, was zu tun sei, sperrten Konten und riefen auch den Sohn nochmals an, um ihm die Geschehnisse zu schildern und ihm mitzuteilen, was er noch erledigen müsse. Er hatte immerhin sämtliche Vollmachten seiner Mutter, um ihre finanziellen Belange zu regeln.Die alte Dame erholte sich immer weiter und drückte immer wieder ihre Dankbarkeit uns gegenüber aus. Übrigens kamen die Anrufe tatsächlich mit der Anruferkennung 110 bei ihr an. Dieser perfide Trick kommt immer häufiger vor und weckt bei den Opfern ein trügerisches Vertrauen. Wir klärten die Dame darüber auf, dass die Polizei NIE mit dieser Anruferkennung anrufe, sondern meist gar keine habe.Wir verließen die alte Dame mit dem guten Gefühl, hier ganze Arbeit erledigt zu haben. Zum Glück lief hier die Zusammenarbeit der Leitstelle mit uns vorbildlich und wir standen unter keinerlei Zeitdruck.Als ich kürzlich nach meiner langen Krankheitszeit in den Dienst zurückkehrte, wollte es der Zufall, dass meine neue Stelle auch beinhaltet, Beschwerden und Danksagungen von Bürgern zu archivieren. Als ich das bemerkte, nahm ich mir den entsprechenden Ordner vor und fand dort tatsächlich ein sehr liebes Schreiben der alten Dame an den Polizeipräsidenten vor, das voll des Lobes dem Kollegen und mir gegenüber war. Durch meine Erkrankung hatte es mich nie erreicht. Aber auch fast zwei Jahre später, habe ich mich sehr darüber gefreut!