Neulich im Spätdienst. Wir hatten zur Abwechslung mal wieder eine Auszubildende an Bord, die etwas erleben wollte. Was sich ihr dann aber bot, war dann doch etwas viel für eine Schicht.
Zunächst bestand der Dienst aus Routineeinsätzen. Verkehrsunfälle mussten aufgenommen werden, Fahrgeldhinterzieher mussten verfolgt und angezeigt werden und sich streitende Punks mussten getrennt und des Platzes verwiesen werden. Dann aber meldete die Leitstelle uns einen Randalierer in einer Tankstelle. Wir eilten zu der nahe gelegenen Zapfstation, um der weiblichen Bedienung zur Hilfe zu kommen. Diese wurde aber nicht mehr benötigt, denn der Übeltäter hatte sich bereits verzogen. Ein Mann war in die Tankstelle gekommen und machte sofort einen alkoholisierten Eindruck auf die Kassiererin. Er brachte jede Menge Leergut mit und mokierte sich darüber, dass die Benzinverkaufe über keinen Leergutautomaten verfügte. Natürlich wollte er direkt Nachschub verklappen, hatte aber wohl Probleme damit, das ersehnte Nass aus dem Behältnis zu bekommen. Sprich: Er bekam die Flasche nicht auf. Weiterhin schimpfend und fluchend verlangte er von der Bedienung eine Schere. Da er aber an diesem Tag bereits das dritte Mal in der Tankstelle seinem Unmut Luft machte, verweigerte die Frau ihm diese Forderung. Daraufhin begann er unverständliche Wortschwalle über die Bedienung zu ergießen und spuckte im Verkaufsraum aus. Als die verschreckte Frau nach einem Telefon suchte, verließ er den Laden, nicht ohne vorher noch gegen Verkaufsaufsteller getreten zu haben. Die Angestellte war grundsätzlich froh darüber, dass er nun weg war, wollte aber auch, dass wir ihm wenn möglich das Hausverbot, das sie verhängt hatte, aussprechen sollten. Da sie seine Worte nicht wirklich verstanden hatte, verzichtete sie auf die Anzeige wegen Beleidigung. Ihre Beschreibung des Kerls war aber so brauchbar, dass wir uns gewisse Chancen ausrechneten, ihn zu erwischen.
Um den winzigen Verkaufsraum der Tankstelle nicht zum Bersten zu bringen, hatte mein Kollege im Auto gewartet. Als unsere Kommissarsanwärterin und ich in den Streifenwagen stiegen, teilte er uns mit, dass etwa zehn Meter weiter erneut ein Notruf wegen eines Randalierers in einer Bäckerei abgesetzt worden war. Weit schien unser Delinquent ja nicht gekommen zu sein!
Im Weiteren werde ich unseren Kunden Käsebrötchen nennen, denn dieses verspeiste er gerade bei unserem Eintreffen und dieses Nahrungsmittel war Bestandteil nahezu eines jeden Satzes, den er mit uns wechselte. Käsebrötchen saß auf einem Barhocker an einem Stehtisch im Eingangsbereich der Bäckerei. Während ich ihn direkt ansprach und nach seinem Ausweis fragte, sprach mein Kollege die Bäckereifachverkäuferin hinter der Theke auf den Grund unseres Erscheinens an. Käsebrötchen tat zunächst erstaunt, warum er Ziel unserer Ermittlungen sei. Seinen Ausweis wollte er mir erst mal nicht geben, da er sich keiner Schuld bewusst zu sein vorgab. Immer wieder biss er herzhaft in sein Brötchen und spuckte mir munter Brocken davon beim Sprechen entgegen. Ich bin eh schon kein Freund dieses Nahrungsklassikers, aber dergleichen dargeboten, ekelte es mich noch mehr an.
Der Kollege hatte inzwischen in Erfahrung gebracht, dass die belegte Backware nicht das einzige Begehren unseres neuen Freundes war. Er hatte munter die Verkäuferin darum gebeten, ihm doch einen zu blasen. Als diese angewidert entgegnete, dass sie nun die Polizei anrufen wolle, spornte dies Käsebrötchen nur zu dem Ausspruch an, dass wir dann das Gleiche bei ihm verrichten dürften. Nun bin ich etwas altmodisch und halte nichts von solchen Praktiken beim ersten Treffen. So kam es, dass Käsebrötchen der Einzige war, der blasen durfte. Und zwar in unseren Alkomaten. Vorher beteuerte er noch, dass er nur antialkoholische Getränke zu sich genommen habe. Seine stattliche Standarte sagte aber etwas ganz anderes aus. Ich konnte kaum hinsehen als seine dunklen Lippen, von denen die untere zur Hälfte mit Butter behaftet war, sich um das Mundstück legten, denn ich erwartete fast eine Fehlermeldung, ob der Verstopfung durch hineingeblasene Essensreste. Käsebrötchen verzichtete auch beim ersten Versuch nicht auf seinen schwer verständlichen Redeschwall. So kam es natürlich nicht zum gewünschten Ergebnis. Ich wies ihn darauf hin, dass Reden und Blasen in den seltensten Fällen funktionieren würde. Also klappte der zweite Versuch reibungslos. Unsere Azubine stand nur verschmitzt lächelnd daneben und genoss die Show wie die anderen Kunden der Bäckerei. Als das Gerät endlich den Wert ausspuckte, fragte ich erstmal Käsebrötchen: „Welches antialkoholisches Getränk muss man denn genießen, um damit über zwei Promille zu erreichen?“. Er grinste nur und fragte, ob er denn nun nach Hause gehen dürfte. Er wolle jetzt nur noch schlafen, wo er doch gerade gefrühstückt habe. Wie erwähnt befanden wir uns im Spätdienst und hatten schon einige Stunden hinter uns. Also eine gute Zeit für ein Frühstück.
Ich eröffnete ihm, dass er jetzt zwar schlafen könne, aber nicht zu Hause, sondern in unserem Gewahrsam. Das verstand Käsebrötchen nun gar nicht, denn er wohnte doch angeblich um die Ecke. Dumm für ihn, dass ich bei ihm eine Abmeldebescheinigung von eben diesem Zuhause gefunden hatte. Außerdem hatte er am Anfang unserer Bekanntschaft erwähnt, dass er im örtlichen Obdachlosenasyl wohne. Für ihn war das aber kein Grund, nicht trotzdem auf dem Nachhausegehen zu bestehen. „Ich kann ihnen irgendwie nicht glauben, dass sie das wirklich tun. Und da ich weder Zeit noch Lust habe, mich vor ihre Tür zu stellen und das zu überwachen, bleibt ihnen wohl keine andere Wahl, als mitzukommen.“, teilte ich ihm freundlich mit.
Käsebrötchen war immer noch nicht mit seiner Mahlzeit fertig. Ich ließ mir von der freundlichen Bedienung eine Tüte für seine angenagte Backware geben, die er aber fröhlich und unverständlich vor sich hin brabbelnd ignorierte. Mein Kollege und ich schoben ihn nun mit sanftem Nachdruck aus der Bäckerei und hin zum Streifenwagen. Immer wieder biss Käsebrötchen kleine Happen ab, um sie gleich darauf mit seinem Wortschwall wieder auszuscheiden. Ich war froh, dass ich an diesem Tag Fahrer war, denn so musste ich nicht hinten bei ihm Platz nehmen. Käsebrötchen redete in einer Tour. Meistens über Käsebrötchen und dass es kein Verbrechen sei, eines zu essen. So sehr wir ihm da auch zustimmten konnten wir ihn nicht davon überzeugen, dass dies ja auch gar nicht der Grund für seine ungewollte Reise war. Mein Kollege öffnete sein Seitenfenster weit und forderte unseren Mitfahrer auf, doch bitte in die andere Richtung zu sprechen, da sein Bedarf an vorgekautem Käsebrötchen mehr als gedeckt sei. Zwischenzeitlich degradierte Käsebrötchen sein Käsebrötchen sogar zum schnöden Butterbrötchen, denn er ließ die letzte Scheibe Käse versehentlich auf den Rücksitz fallen – na danke auch!
Selbst noch im Gewahrsam versuchte unser Gast uns immer noch davon zu überzeugen, dass er doch einfach nach Hause gehen könne. Davon hielten wir nichts und deshalb gingen wir darauf auch nicht ein. Nachdem Käsebrötchen mit einem Nachtlager versorgt war und noch Hunger angemeldet hatte, vielleicht weil ein Teil seiner Mahlzeit auf unserem Rücksitz vor sich hin roch, wollten wir soeben das Präsidium verlassen, als ein Einsatz über die Funklautsprecher im Gewahrsamsraum unsere Aufmerksamkeit auf sich zog.
Im benachbarten Landeskrankenhaus hatte man einen Notruf abgesetzt. Dort sollte ein Patient derart randalieren, dass das Krankenhauspersonal nicht mit ihm klar kam.
Also besetzten wir schleunigst unseren Streifenwagen, bogen zweimal ab und trafen als erstes Fahrzeug am Landeskrankenhaus und der betreffenden Station ein. Dabei hatten wir noch zwei Streifenwagen im Schlepptau. Da einer der beiden auch noch einen Auszubildenden an Bord hatte, waren wir also mit insgesamt 8 Beamten und Beamtinnen recht gut aufgestellt.
Wir stürmten die Treppe zu der Station hoch, nachdem wir von einem Mitarbeiter erfahren hatten, dass der Patient sich selbst hatte einweisen lassen wollen. Wie üblich wurde er zu den erforderlichen Aufnahmeformalien zum Pfortenhäuschen geschickt. Damit wohl unzufrieden, hatte er dort begonnen, die Mitarbeiter anzugreifen. Man hatte ihn daraufhin mit vereinten Kräften bis in das Gebäude, wo er aufgenommen werden sollte, gebracht. Auf dem Treppenabsatz vor der geschlossenen Abteilung war er dann erneut derart ausgerastet, dass man ihn nur noch zu Boden bringen und fixieren konnte. In dieser Situation trafen wir dann auch auf den Wüterich. Er lag auf dem Rücken, die Arme vom Körper weg gestreckt. Wären da nicht insgesamt vier Männer gewesen, die auf seinen Extremitäten hockten, hätte das Ganze doch an eine Kreuzigungsszene erinnert. So war es nur ziemlich grotesk, denn es standen auch noch zwei Männer daneben und versuchten den Typen zu beruhigen. So waren also insgesamt sechs Bedienstete mit einem Patienten nicht zurecht gekommen. Das „Opfer“ schrie wild herum und bäumte sich ständig gegen seine Last auf. Dabei beleidigte er alle Anwesenden durch. Mein Kollege erfragte nun unsere Aufgabe in diesem obskuren Meeting. Ein Angestellter teilte ihm mit, dass der Patient eine Etage tiefer in einem normalen Zimmer „zwischengelagert“ werden sollte. Im Moment sei man gerade dabei, ein Fixierbett vorzubereiten. Wir staunten nicht schlecht. Es ging also darum, den Herrn in sein Zimmer zu bugsieren. Dazu waren wir also in Gruppenstärke hier erschienen!
Ein Kollege einer anderen Streifenwagenbesatzung und ich übernahmen jetzt diese Aufgabe. Wir fesselten den Patienten und halfen ihm auf. Da er sich immer noch meinte wehren zu müssen, nahmen wir ihn zwischen uns in den beidseitigen Kreuzfesselgriff. Ein Mitarbeiter der Klinik fragte uns, nachdem wir nach dem kürzesten Weg zum Aufzug gefragt hatten, ob wir den Kerl nicht eben die eine Treppe herunter führen könnten. Mein Kollege schaute ihn finster an und antwortet: „In dem Griff brechen sich alle drei alle Knochen, wenn sie die Treppe benutzen! Wenn es so einfach ist, warum haben sie das dann nicht selbst gemacht?“. Daraufhin verstummte der Mitarbeiter und wies nur still in die richtige Richtung.
Irgendetwas hatte dieser Patient intus, was ihn schmerzunempfindlich machte und ihm gleichzeitig Bärenkräfte verlieh. Normalerweise erfordert der Kreuzfesselgriff keine Kraft, da sich der Transportierte bei Gegenwehr selbst weh tut. Dies schien den Typen aber gar nicht zu interessieren. Er hielt munter dagegen und machte uns Vorwürfe, wir hätten unseren Beruf verfehlt, weil wir ihn derart behandelten. Vollkommen durchgeschwitzt kamen wir endlich vor dem Zimmer an.
Leider war das Fixierbett noch nicht fertig, sodass wir unser Paket zunächst in einer Ecke parken mussten. Die Angestellten schwirrten um das Bett herum und hantierten mit Ledergurten und Magneten herum. Währenddessen war unser Patient wieder zu Atem und Kraft gekommen, sodass er sowohl versuchte, sich loszureißen, als auch nach uns zu treten. Uns blieb nichts anderes übrig, als ihn auf einen kleinen Tisch zu drücken, der in unserer Ecke stand. Das hatte zur Folge, dass wieder die wilden Beschimpfungen losgingen, denn wir weigerten uns unverständlicherweise strikt, ihn wieder aufrecht stehen zu lassen.
Als das Bett endlich vorbereitet war, hievten wir unser Päckchen darauf und drapierten ihn in die richtige Position. Den Kollegen und mich schien der Patient besonders zu mögen, denn er drohte uns an, uns „In den Arsch zu ficken“, während es sich der Rest gegenseitig derartig besorgen sollte. Sorry für die krasse Wortwahl, es handelt sich aber wie immer nicht um die meine. Laut brüllte er: „Ihr seid so armselig! Das ist genau das, was ich wollte und ihr merkt es noch nicht mal! Ihr seid alle unfähig, ihr gebt mir einfach was ich will!“. Wenn es das war, was er wollte, verstand ich allerdings seine nicht abbrechende Gegenwehr nicht recht. Nach einigem Gerangel, etlichen Beleidigungen und mehrfacher Absprache unserer Befähigung für den Beruf, war der Patient endlich an Ort und Stelle.
Schwitzend verließen wir das Zimmer und die Abteilung. Im Auto angekommen, bemerkte ich erst die großen Augen unserer Auszubildenden. Sie hatte zu Beginn der Schicht geäußert, doch etwas erleben zu wollen. Dieser Wunsch war nun mehr als erfüllt worden. Sie stellte uns viele Fragen und bemerkte, dass sie den eben abgearbeiteten Einsatz selbst nicht bewältigt bekommen hätte. „Wie soll ich denn reagieren, wenn ich alleine mit einem Kollegen zu so etwas gerufen werde?“, fragte sie uns. Der Kollege antwortete nur: „Dann bleibt der Typ halt so lange sicher fixiert liegen, bis deine Verstärkung eintrifft. Die solltest du dann nämlich dringend anfordern!“.
Das war für unsere junge Kollegin, aber auch für uns, genug Aufregung für einen Tag. Erschöpft aber auch zufrieden beendeten wir unseren Dienst. Immerhin war niemandem von uns etwas passiert.