Farbe in der Nacht


Neulich im Nachtdienst erhielt unsere Leitstelle einen Anruf von einem Bürger, der von seinem Fester aus beobachtete, wie zwei junge Männer gerade eine Hauswand seiner Wohnung gegenüber beschmierten.
Auch in unserer Stadt sind Graffiti ein großes Problem, das nicht nur ästhetischer Art ist. Also sprangen mein Kollege und ich in unseren Streifenwagen und fuhren so schnell wie möglich zum Tatort der ungeliebten Stadtverschönerung. Sprayer agieren leider meistens nachts und an eher unzugänglichen Orten, wo sie nicht mit der Störung durch die Ordnungsorgane rechnen müssen. Auch in diesem Fall war der Ort aus dieser Sicht gut gewählt. Die Hauswand befand sich an einer Ausfallstraße, die nachts nur wenig frequentiert wird. Fußgänger sind da so selten, wie schöne Graffiti. Zudem kann man die Straße in beide Richtungen sehr gut einsehen, sodass herannahende Ordnungshüter schnell auffallen.
Unsere beiden Künstler hatten sich die Arbeit wohl geteilt, denn nach Angaben des Anrufers stand der eine an der Straße Schmiere, während der andere sich als Michelangelo versuchte.
Womit sie aber nicht gerechnet hatten, war das absolut besonnene und schon professionelle Verhalten des Melders. Viele Bürger schrecken die Sprayer auf, indem sie aus dem Fenster rufen. Meist geschieht das dann mit der Androhung, man würde die Polizei anrufen, oder der Information, man habe dies gerade erledigt. Natürlich wartet dann keiner der Farbschmierer auf unser Eintreffen, was deren Ermittlung doch erheblich erschwert.
Unser Anrufer schaute sich das Geschehen in aller Ruhe an und versorgte die Leitstelle laufend per Telefon mit Informationen. Prima gemacht!
So kam es, dass wir auf der Anreise schon zwei recht gute Personenbeschreibungen bekamen, sowie von der Petze an der Straße wussten. Zu unserem Glück herrschte ja nicht viel Verkehr. Also konnten wir auch schon frühzeitig auf das Blaulicht verzichten. Aus der anderen Richtung sollte noch ein anderer Streifenwagen von einer befreundeten Wache zu uns stoßen.
Als wir uns noch ca. einen Kilometer vom Tatort entfernt befanden, meldete der Anrufer, dass die beiden Fassadenverschandler ihr Machwerk wohl beendet und nun ihre sieben Sachen eingepackt hätten. Man schlendere nun die Straße auswärts entlang, das Werkzeug der Verschandelung in einer Plastiktüte verstaut.
Gut, dass der Dienstherr uns mit recht schnellen Autos ausgestattet hat, denn die Bebauung in dieser Richtung wird immer spärlicher und die Flora am Straßenrand immer üppiger. Die beiden waren aber von ihrem vollendeten Werk so befriedigt und gelassen, dass sie keinen Grund zur Eile erkannten. Nur etwa zwanzig Meter vom Tatort entfernt, taten wir sie auf. Dank der Personenbeschreibungen und mangels anderer Fußgänger in der Gegend, erkannten wir sie sofort. Sie schauten etwas verdutzt, als ich den Streifenwagen vor ihnen auf den Gehweg lenkte. Grund zur Flucht schienen sie aber nicht zu erkennen, denn sie blieben brav stehen, als wir den Wagen verließen.
Die beiden, ich nenne sie mal Hans und Franz, sahen uns erwartungsvoll aber gar nicht schuldbewusst an. Als wir ihnen platt auf den Kopf zu sagten, dass man ihr Machwerk beobachtet habe, wich die Farbe aus Hans‘ Gesicht, während Franz sein Pokerface aufsetzte. Franz war, wie sich herausstellte, ein alter Bekannter aus der hiesigen Graffitiszene. Er war schon so oft erwischt worden, dass er eine gewisse Routine im Umgang mit unserem Berufsstand entwickelt hatte. Leider hat er inzwischen auch ein Verbot des Mitführens von Graffitiutensilien. Sein Kommentar dazu war lediglich: „Wieso? Ich trage doch gar nichts! Die Tüte hat er doch!“. Toller Kumpel!
Hans versuchte seine Tat zu rechtfertigen: „Ich habe auf einer Internetseite eines Anwalts gelesen, dass es keine Sachbeschädigung ist, wenn man eine Wand besprüht, die vorher schon besprüht war.“. Ah ja! Wenn das wirklich so auf der Seite gestanden haben sollte, wundere ich mich über die Rechtsauffassung des betreffenden Anwalts. Ist es etwa auch keine Körperverletzung, wenn ich einer bereits verletzten Person noch eben die Zähne ausschlage?
Ich erwiderte nur kurz: „Na ja, da wollen wir mal hoffen, dass der Richter das auch so sieht!“.
Während ich mich mit einer Kamera bewaffnet zum Tatort begab, erledigte mein Kollege mit Unterstützung der inzwischen eingetroffenen Kräfte die Durchsuchung und Personalienfeststellung von Hans und Franz. Es war übrigens kein Problem, auf der schon recht stark besprühten Wand Hans‘ und Franz‘ sogenanntes Tag zu identifizieren. Als Tag bezeichnen die Sprayer ihre Signatur, mit der sie für die Szene ihre Werke kennzeichnen. Oft besteht das Graffito nur aus diesem Tag. Auch hier war es so und praktischer Weise waren beide Tags noch nicht trocken. Eines der beiden Graffiti befand sich übrigens wunderbar frei auf einer unbespühten Stelle der Wand, sodass die Anwaltsgeschichte dafür eh nicht gegriffen hätte.
Bei der Durchsuchung fanden die Kollegen in der Tüte die benutzten Spraydosen und bei Hans zusätzlich ein Butterflymesser, das nach dem Waffengesetz als verbotener Gegenstand gilt, sowie eine Packung Knallkörper, deren Mitführen nach dem Sprengstoffgesetz zu dieser Jahreszeit auch einen Verstoß darstellte. Außerdem stellte sich heraus, dass Hans noch minderjährig war, solche Böller also zu keiner Zeit besitzen durfte.
Franz, der volljährig war, durfte dann seines Weges ziehen, während der minderjährige Hans uns zur Wache begleiten musste. Immerhin mussten wir seine Erziehungsberechtigten kontaktieren, um zu erfragen, was mit ihm passieren sollte. Zu allem Überfluss kam Hans auch noch aus einer anderen Stadt und war zu Besuch bei Franz.
Als wir in der Wache angekommen waren, versuchte mein Kollege Hans‘ Mutter zu erreichen. Das gab mir die Gelegenheit, Hans eine Frage zu stellen: „Also hier gilt es in der Szene als verpönt, die Tags anderer Sprayer zu übertünchen. Ist das in deiner Stadt anders?“. Hans schaute nur betreten zu Boden und schüttelte den Kopf. Dachte ich es mir doch! Hans hatte sich gedacht, in einer anderen Stadt wird die Szene ihm schon keinen Ärger machen können.
Mein Kollege hatte inzwischen Hans‘ Mutter erreicht. Die war natürlich hoch erfreut darüber, solche Nachrichten nachts weit nach drei Uhr zu erhalten. Einerseits hatte sie keine Möglichkeit, ihren Sprössling abzuholen, andererseits wollte sie auch auf gar keinen Fall, dass er bei Franz weiter übernachtete. also einigte sich der Kollege mit ihr, dass wir für Hans‘ Unterbringung in einem hiesigen Jugendheim sorgen würden.
So kam es, dass Hans dann mit einem blau-silbernen Taxi zu seiner Schlafstätte gebracht wurde, um dann am nächsten Tag mit dem Zug nach Hause zu fahren. Erfreut war er über diese Regelung zwar nicht, aber wir waren ja schließlich auch nicht auf einem Kindergeburtstag.
Fast schon lächerlich erscheint mir eine Aussage von Franz, die er noch vor Ort tätigte: „Ich kenne meine Rechte!“, sagte er, als es um sein Mitführverbot ging. Schön wäre es gewesen, wenn er die Rechte der anderen genauso gut kennen und deren Wahrung ebenfalls so vehement einfordern würde!

Münstersche Zeitung vom 02.09.2011

Münstersche Zeitung vom 02.09.2011

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